Sechster Pfeiler

DER GLAUBE AN DIE BESTIMMUNG

„Wa bil-Qadari, khayrihi wa scharrihi minallahi ta’âlâ“, bedeutet der Glaube an den Qadar (Bestimmung) und ist, dass man daran glaubt, dass alles Gute und Schlechte, aller Nutzen und Schaden, aller Gewinn und Verlust, den die Menschen erfahren, gemäß der Bestimmung Allahs, des Erhabenen, geschieht.

Dass Allah, der Erhabene, die Existenz einer Sache will, wird „Qadar“ genannt. Das Hervor- und Zustandekommen des Qadar, d.h. der Sache, deren Existenz bestimmt wurde, wird „Qadâ“ (Schicksal) genannt. Die Worte „Qadar“ und „Qadâ“ kommen auch als Synonyme zur Verwendung.

Allah, der Erhabene, hat Seinen Dienern eine „Irâda“ (Wille) gegeben und diese Irâda zum Grund für Sein Erschaffen ihrer Taten gemacht. Wenn der Diener sich entscheidet, etwas zu tun und wenn Allah, der Erhabene, die Sache auch will, dann bringt Er sie hervor. Wenn der Diener eine Sache nicht will, will auch Allah, der Erhabene, sie nicht und erschafft sie nicht.

Wer diese bis hierher zusammengefasst vorgelegte Aqîda der Ahlus-Sunna mehr im Detail erlernen möchte, kann u.a. drei vom Verlag Hakîkat Kitâbevi veröffentlichte Bücher lesen: Das ursprünglich auf Persisch verfasste „I’tikâdnâme“ des großen Walî, einem der Perlen der Gelehrten des Islam, Mawlânâ Khâlid al-Baghdâdî, möge Allah mit ihm barmherzig sein, und dessen türkische Übersetzung durch Kemâhlı Feyzullah Efendi unter dem Titel „Herkese Lâzım Olan Îmân“, das wiederum unter dem Titel „Glaube und Islam“ ins Deutsche übersetzt wurde. Das Buch „I’tikâdnâme“ ist ein ausgezeichnetes Werk, dessen Fayd (spirituelles Wissen, das von Qalb zu Qalb fließt) und Segen für das Glück in beiden Welten ausreichend ist.

Vertiefend:

6. Die sechste der Sachen, an die geglaubt werden muss, ist „der Glaube an die Qadar (Bestimmung), und dass alles Gute und Schlechte von Allah, dem Erhabenen, erschaffen ist“. Alles Gute und Schlechte, aller Nutzen und Schaden, aller Gewinn und Verlust, den die Menschen erfahren, ist durch die Bestimmung Allahs, des Erhabenen. „Qadar“ meint der Wortbedeutung nach „das Messen einer großen Menge“, „Urteil“ und „Befehl“. Es hat auch Bedeutungen wie „Fülle“ und „Größe“. Dass Allah, der Erhabene, in der Vor-Zeit das Sein einer Sache oder eines Dinges wollte, wird Qadar (Bestimmung) genannt. Das Instandekommen der Qadar (Bestimmung), also der Sache, deren Sein bestimmt wurde, wird mit Qadâ (Geschick) bezeichnet. Die Worte „Bestimmung“, „Qadar“, und „Geschick“, „Qadâ“, kommen auch miteinander ausgetauscht zur Verwendung. Dann meint, „Qadâ“, dass Allah, der Erhabene, alle Ereignisse, die vom Beginn bis zum Ende der Zeit, also seit Beginn der Schöpfung bis weit in die Unendlichkeit des jenseitigen Lebens, geschehen, in der Vor-Zeit wollend war, also „Bestimmung“, und die Erschaffung aller Seienden weder in geringerem noch in höherem Maß, sondern in Übereinstimmung mit „Qadâ“ wird dann, „Qadar“, also „Geschick“, genannt. Allah, der Erhabene, wusste um alle Ereignisse, die stattfinden würden, bereits in der Vor-Zeit, im anfanglosen „vor“ der Zeit. Dieses Wissen (Vorwissen) Allahs, des Erhabenen, wird „Qadâ“, „Geschick“, und „Qadar“, „Bestimmung“, genannt. Die antiken griechischen Philosophen nannten dies die „urzeitliche Gnade“. Alles Seiende wurde durch dieses Geschick erschaffen. Das Hervorkommen alles Seienden ins Sein entsprechend dem vor-zeitlichen Wissen Allahs, des Erhabenen, nennen wir „Geschick und Bestimmung“. Damit der Glaube an die Bestimmung korrekt ist, muss man wissen und glauben, dass, wenn Allah, der Erhabene, in der Vor-Zeit gewollt hat, also bestimmt hat, dass etwas sei, dass es dann unumgänglich notwendig ist, dass sich dieses Ereignis ohne ein Mehr oder ein Weniger genauso ereignet, wie Er es gewollt hat. Ebenso ist es unmöglich, dass etwas, das Er wollte, sich nicht ereignet, oder sich etwas ereignet, was Er nicht bestimmt hat.

Alle Tiere, Pflanzen und alles Anorganische [die festen, flüssigen und gasförmigen Körper, die Sterne, die Moleküle, die Atome, die Elektronen, die elektromagnetischen Wellen, kurzum sämtliche Bewegungen aller Seienden, die physikalischen Vorgänge, die chemischen Reaktionen, die atomaren Kernreaktionen, der Energieaustausch, die physiologischen Vorgänge in Lebewesen], das Sein oder das Nichtsein alles Seienden, die guten und die schlechten Taten Seiner Diener, ihre Belohnung oder Bestrafung für diese Taten in der diesseitigen Welt und / oder im Jenseits, kurzum, alle Ereignisse waren im Wissen Allahs, des Erhabenen, in der Vor-Zeit verwahrt. Er wusste alle diese Ereignisse in der Vor-Zeit. Er erschafft alle Ereignisse vom Beginn der Zeit bis zum Ende der Zeit, alles Seiende, jede Beschaffenheit, jede Bewegung und jedes Ereignis gemäß Seinem Vorwissen in der Vor-Zeit. Alle Taten der Menschen, gut und schlecht, ihr Muslimsein, ihr Unglaube, ihre freiwilligen und unbewussten Handlungen werden alle von Allah, dem Erhabenen, geschaffen. Er ist der einzige Schöpfer und Ereigner. Er ist der Schöpfer aller Ereignisse, die aus den Gründen hervorkommen. „Alle Ereignisse erschafft Er aus einem Grund.“

So hat z. B. Das Feuer die Eigenschaft des Verbrennens. Doch der, der verbrennen lässt, ist Allah, der Erhabene. Das Feuer hat mit dem Verbrennen nichts zu tun. Doch Seine Art ist so, dass wenn etwas nicht mit Feuer in Berührung kommt, sich das Verbrennen nicht ereignet. [Das Feuer bewerkstelligt nicht mehr als das Erhitzen bis zum Grad des Entflammens. Es ist nicht das Feuer, das dem in der Zusammensetzung der Körper enthaltenen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff die Affinität zur Vermischung gibt, für den Wechsel von Elektronen zwischen ihnen sorgt. Wer nicht tief genug blickt, glaubt, dass diese Wirkungen durch das Feuer hervorgerufen werden. Es ist nicht das Feuer, das die Reaktion der Verbrennung bewirkt – auch nicht der Sauerstoff noch die Wärme noch der Elektronenfluss. Es ist einzig und allein Allah, der Erhabene, der die Verbrennung bewirkt. Alle erwähnten Sachen wurden lediglich als Anlässe und Gründe für die Verbrennung erschaffen. Wer nicht über tieferes Wissen verfügt, glaubt, dass das Feuer verbrennt. Jemand, der die Grundschule hinter sich hat, findet Missfallen an der Aussage „Das Feuer verbrennt“ und sagt: „Es ist die Luft, die verbrennt.“ Wer die Mittelschule hinter sich hat, findet auch an dieser Aussage Missfallen und sagt: „Der Sauerstoff in der Luft verbrennt.“ Wer auch das Gymnasium hinter sich hat, wird sagen: „Die Verbrennung ist nicht eine Besonderheit des Sauerstoffs, jedes Element, das Elektronen anzieht, ist in der Lage zu verbrennen.“ Ein Akademiker wird sagen, dass mit der Materie zusammen auch die Energie in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden muss. So lässt sich sehen, dass mit der Vertiefung des Wissens und der Annäherung an die Wirklichkeit der Ereignisse die Beobachtung einhergeht, dass es hinter den als Gründen erachteten Sachen noch so manche andere, tiefere Gründe gibt.

Die Propheten, die auf der höchsten Stufe allen Wissens und der Wissenschaften standen und die Wirklichkeiten hinter den Erscheinungen gänzlich erkannten, möge Friede mit ihnen allen sein, und die Gelehrten des Islam, die den Spuren dieser großen Menschen folgten, verkünden heute, dass die Sachen, die als Gründe der Verbrennung angenommen wurden, nichts anderes sind als handlungsunfähige, bedürftige Mittel und Geschöpfe und dass ihr wahrer Bewirker nicht die Gründe, sondern Allah, der Erhabene, ist.] Es ist Allah, der Erhabene, der verbrennt. Er kann dies auch ohne Feuer bewirken. Doch es ist Seine Art in der Schöpfung (Sunnatu‘llahi fi Khalqihi) durch Feuer zu verbrennen. Wenn Er will, dann verbrennt Er sogar im Feuer nicht, so wie Er Ibrâhîm, Friede sei mit ihm, im Feuer nicht brennen ließ. Aufgrund Seiner Liebe zu ihm hat Er Seine Art ausgesetzt. [So hat Er auch Stoffe erschaffen, die das Verbrennen des Feuers hemmen oder verhindern. Diese Stoffe werden von Chemikern entdeckt.]

Hätte Allah, der Erhabene, es gewünscht, hätte Er alle Ereignisse grundlos erschaffen können. [Er hätte ohne Feuer verbrennen, ohne Nahrung sättigen, ohne Fluggeräte fliegen lassen können, ohne Mittel wie z. B. Ein Radio Stimmen aus der Ferne hören lassen können.] Doch in Seiner Gnade, in Seiner Güte für Seine Diener hat Er Sein Erschaffen und Hervorbringen von Ereignissen an Anlässe und Gründe gebunden. Er bestimmte, dass gewisse Ereignisse aus gewissen Gründen enstehen. Sein Wirken hat Er hinter den Gründen und Seine Macht in den Gründen verborgen. Somit bewegt sich jemand, der eine Sache wünscht, entlang den Anlässen für die Ereignung einer Sache und erlangt so seinen Wunsch. [Jemand, der eine Kerze anzünden möchte, benutzt Streichhölzer. Wer Olivenöl erzeugen möchte, benutzt eine Presse. Wer Kopfschmerzen hat, nimmt ein Medikament ein. Wer in das Paradies einkehren und dort die unzähligen, unendlichen Segen erlangen möchte, der folgt dem Islam. Wer sich eine Kugel in den Kopf schießt, der stirbt, wer Gift trinkt ebenso. Wer stark schwitzend kaltes Wasser trinkt, wird krank. Wer Sünden begeht und wer seinen Glauben auslöscht, der wird in die Hölle eingehen. Wer auch immer entlang welchem Grund sich bewegt, erlangt das, was in diesem Grund geborgen ist. Wer die Bücher der Muslime liest, lernt den Islam, liebt ihn und wird Muslim. Wer unter Atheisten oder Weglosen weilt und ihren Worten Gehör schenkt, wird zu einem Ahnungslosen in der Religion. Die meisten Ahnungslosen in der Religion gleiten in den Unglauben ab. Entsprechend dem Gefährt für eine bestimmte Richtung, kommt man an eben jenem Ziel an.]

Wenn die Wahrheit (Allah, der Erhabene) erscheint, macht sie jedes Werk ein Leichtes.

Sie erschafft die Gründe dafür, und im Nu schenkt sie das Gelingen.

Würde Allah, der Erhabene, die Ereignisse nicht aus Gründen erschaffen, dann wäre kein Mensch auf einen anderen angewiesen. Jeder würde alles direkt von Allah, dem Erhabenen, erbitten, ohne sich Gründen zuzuwenden. Sodann gäbe es unter den Menschen keine Vorgesetzten und Untergebenen, keine Arbeiter, keine Künstler und Handwerker, keine Schüler und keine Lehrer und keine der mannigfaltigen zwischenmenschlichen Beziehungen, und die Ordnung der diesseitigen Welt und des Jenseits würde einbrechen. Es gäbe dann keinen Unterschied zwischen hässlich und schön, gut und schlecht, Gehorsamen und Ungehorsamen.

Hätte Allah, der Erhabene, es gewünscht, hätte Er Seine Art in der Schöpfung anders gestaltet. Dann würde sich alles entsprechend diesem anderen Brauch ereignen. So hätte Er z. B., wenn Er gewollt hätte, die Ungläubigen, Menschen, die dem Vergnügen dieser Welt verfallen sind, Menschen die anderen Leid zufügen, und Menschen, die andere betrügen, in das Paradies einziehen lassen können und die Gläubigen, die Menschen, die die Anbetungen verrichten, und Menschen, die Gutes tun, in die Hölle einkehren lassen können. Doch die Âyât des edlen Qur’ân und die Aussagen in den ehrwürdigen Hadîthen zeigen, dass Er es nicht so verfügt hat.

Er ist es, der jede Handlung der Menschen, sei es freiwillig oder unbewusst, erschafft. Um die freiwilligen, also gewollten Regungen und Handlungen des Menschen zu erschaffen, hat er in Seinen Dienern deren Wahlfreiheit und deren Willen erschaffen und hat dieses Wählen und Wollen ihrerseits zum Anlass für Sein Erschaffen ihrer Taten gemacht. Wenn der Diener sich entscheidet, etwas zu tun, und wenn Allah, der Erhabene, die Sache auch will, dann erschafft Er sie. Wenn der Mensch eine Sache nicht will und sich nicht für sie entscheidet und auch Allah, der Erhabene, sie nicht will, dann erschafft Er diese Sache nicht. Sachen werden nicht allein durch das Wollen des Menschen erschaffen/hervorgebracht, sondern nur, wenn auch Er die Sache will. Sein Erschaffen der freiwilligen Taten Seiner Geschöpfe ist wie Sein Erschaffen des Brennens, wenn Feuer mit einem Ding in Berührung kommt oder wenn es keine Berührung mit dem Feuer gibt, dass Er das Brennen nicht erschafft. Wenn das Messer ein Ding berührt, dann erschafft Er das Schneiden. Es ist nicht das Messer, das schneidet, sondern Er, und das Messer ist lediglich der Grund für das Schneiden. Ebenso erschafft Er die freiwilligen Taten der Menschen durch ihre Wahl, durch ihre Entscheidung für die Tat und durch ihren Willen. Doch die Ereignisse in der Natur sind nicht an den Willen des Menschen gebunden. Diese ereignen sich, wenn Allah, der Erhabene, diese will, aus anderen Gründen. Allein Er ist es, der die Materie, die Eigenschaften und die Bewegungen der Sterne, der Partikel, der Tropfen, der Zellen, der Bakterien und der Atome erschafft und hervorbringt. Es gibt keinen anderen Schöpfer als Ihn. Doch zwischen der Bewegung lebloser Dinge und den freiwilligen Taten der Menschen besteht folgender Unterschied: Wenn der Mensch sich für eine Sache entscheidet und wenn Allah, der Erhabene, die Sache auch will, dann bewegt Er den Menschen und erschafft die Sache. Die Bewegung des Menschen steht nicht unter seiner Kontrolle, ja er ist sich nicht einmal den Abläufen seiner Bewegungen bewusst. [Jede Bewegung des Menschen kommt aufgrund von so vielen physikalischen und chemischen Vorgängen zustande.] Die leblosen Dinge haben nicht so etwas wie einen Willen oder ein Bewusstsein. Die Erschaffung des Brennens bei Berührung mit dem Feuer geschieht nicht etwa aufgrund einer Wahl und eines Wollens des Feuers für das Verbrennen.

[Die guten und nützlichen Wünsche Seiner geliebten Diener, mit denen Er barmherzig ist, wünscht auch Er und erschafft sie, aber ihre schlechten und schädlichen Wünsche wünscht Er nicht und erschafft sie nicht. Sodann kommt durch diese Geschöpfe nur Gutes und Nützliches hervor. Sie sind betrübt darüber, dass sich so einige ihrer Wünsche nicht verwirklichen. Würden sie jedoch bedenken und begreifen, dass diese Sachen nicht erschaffen werden, weil sie schädlich sind, wären sie nicht betrübt, sondern wären im Gegenteil erfreut und würden Allah, dem Erhabenen, danken. Dass Allah, der Erhabene, die Taten der Menschen erschafft, nachdem ihre Herzen sich dafür entscheiden und sie diese wollen, hat Er in der Vor-Zeit (Seinem Vorwissen über diese Sachen entsprechend) so gewollt (gewusst). Hätte Er dies nicht in der Vor-Zeit so bestimmt (gewusst), würde Er auch unsere frei gewählten Taten ohne unseren Willen, also uns zwingend, erschaffen. Dass Er unsere frei gewollten Taten erschafft, nachdem wir uns für diese entscheiden, beruht darauf, dass Er dies in der Vor-Zeit so gewollt (gewusst) hat. Das heißt, dass Sein Wille die Ereignisse durchwaltet.]

Die freiwilligen Taten der Menschen kommen durch zwei Sachen zustande: Die erste umfasst das Wählen und Wollen und das Vermögen des Menschen. Daher werden die Taten und Handlungen des Menschen Kasb (Aneignung) genannt. Die Aneignung stellt eine Eigenschaft des Menschen dar. Die zweite Sache ist das Erschaffen, das Hervorbringen Allahs, des Erhabenen. Dass Allah, der Erhabene, befiehlt, verbietet, belohnt und straft, beruht auf der Tatsache, dass der Mensch das Vermögen zur Aneignung hat. In der 96. Âya der Sûre as-Saffât, „Die Aufgereihten“, heißt es sinngemäß: „Allah erschuf euch und eure Taten.“ In dieser Âya wird einerseits aufgezeigt, dass die Menschen das Vermögen der Aneignung besitzen, d. h., dass im Zustandekommen ihrer Taten die Wahl ihrer Herzen und somit ein „Teilwille“ (al-Irâdatu‘l-Dschuz‘iyya) vorhanden ist. Sie beweist ganz klar, dass diese nicht einem Dschabr (Zwang) unterworfen sind. Deswegen heißt es auch, „eure Taten“, d. h. Der Menschen. So heißt es z. B.: „Alî schlägt und zerschmettert.“ In dieser Âya wird andererseits auch aufgezeigt, dass alles durch Bestimmung und Geschick erschaffen ist.

Beim Zustandekommen der Tat des Menschen, bei seiner Erschaffung, muss zuvor die Tat vom Herzen des Dieners gewählt und gewollt werden. Der Mensch wählt und will die Sachen, die in seinem Vermögen stehen. Dieses Wollen wird Kasb (Aneignung) genannt. Âmidî berichtet, dass diese Aneignung der Grund für die Erschaffung der Taten ist, dass sie auf diese wirkt. Dennoch ist es auch kein Schaden, wenn man sagt, dass die Aneignung auf die Erschaffung der gewollten Taten nicht wirkt. Denn die erschaffene Tat und die vom Menschen gewollte Tat sind dieselbe. Das bedeutet, dass der Mensch nicht alles tun kann, was er wünscht. Auch was er nicht will, kann geschehen. Dass alles, was der Mensch will, geschieht und alles, was er nicht will, nicht geschieht, wäre keine Knechtschaft. Dies zu wollen käme dem Anspruch des Gottseins gleich. Allah, der Erhabene, ist gnädig, gütig und barmherzig und hat Seinen Dienern so viel Kraft und Vermögen gegeben, wie sie brauchen, um in der Lage zu sein, Seine Gebote zu befolgen und Seine Verbote zu meiden. So kann z. B. Jemand, der bei Gesundheit und finanziell dazu in der Lage ist, einmal in seinem Leben die Pilgerreise unternehmen. Wenn er am Himmel die Sichel des segensreichen Ramadân [den Neumond] sieht, kann er jährlich einen Monat fasten. Er kann täglich die fünf Pflichtgebete verrichten. Wer Geld in der Menge des „Nisâb“ genannten Maßes besitzt, kann nach der Verjährung dieser Menge gemäß dem Mondjahr ein Vierzigstel in Gold oder Silber den Muslimen als Almosensteuer aushändigen. Man sieht also, dass der Mensch, was die freiwilligen Taten betrifft, in der Lage ist, diese auszuführen oder sie zu unterlassen. Auch daraus wird die Größe Allahs, des Erhabenen, deutlich. Ahnungslose und Dummköpfe begreifen nicht das Wissen um die Bestimmung und das Geschick und glauben nicht den Worten der Gelehrten der Ahlu‘s-Sunna. Sie haben Zweifel hinsichtlich des Handlungsvermögens und die Willensfreiheit der Diener. Sie glauben, der Mensch wäre in seinen gewollten Taten hilflos und stünde unter Zwang. Sie stellen fest, dass der Mensch bezogen auf manche Taten keine Wahl hat, und wettern gegen die Gelehrten der Ahlu‘s-Sunna. Doch ihre wirren Worte belegen, dass sie Willen und Wahl haben.

Das Vermögen, eine Tat zu verrichten oder sie zu unterlassen, wird „Qudra“, „Macht“ oder „Kraft“, genannt. Das Bevorzugen der Verrichtung oder Unterlassung einer Tat wird „Ihtiyâr“, „Wahl“, genannt. Der Entschluss, die Wahl in die Tat umzusetzen, wird als „Irâda“, „Wille“, bezeichnet. Eine Sache zu akzeptieren, sie nicht abzulehnen, wird „Ridâ“, „Wohlwollen“ genannt. Die Zusammenkunft des Willens und der Macht zur Erwirkung des Zustandekommens einer Tat wird „Khalq“, „Erschaffen“ oder „Hervorbringen“, genannt. Ihre Zusammenkunft ohne die Erwirkung des Zustandekommens der Tat wird als Kasb (Aneignung) bezeichnet. Nicht jeder Wählende muss notwendigerweise auch Schöpfer sein. Ebenso muss nicht jedes Gewollte dem Wohlwollen entsprechen. Allah, der Erhabene, wird „Khâliq“, „Schöpfer“ und „Mukhtar“, der „Wählende“ genannt. Der Diener wird „Kâsib“, „Aneigner“ und „Mukhtâr“, der „Wählende“ genannt.

Der Wille Allahs, des Erhabenen, bewirkt die Erschaffung sowohl der gehorsamen als auch ungehorsamen Taten Seiner Diener; doch zufrieden, wohlwollend, ist Er nur mit dem Gehorsam und ist mit dem Ungehorsam nicht zufrieden. Alles kommt allein durch Sein Wollen und Sein Erschaffen ins Sein. In der 102. Âya der Sûre al-An‘âm, „Das Vieh“, heißt es sinngemäß: „Es gibt keinen Gott außer Ihm. Er allein ist der Schöpfer alles Seienden.“

Die Gruppe der Mûtazila erkannte nicht den Unterschied zwischen „Irâda“, „Wille“, und „Ridâ“, „Wohlwollen“. Daher sagten sie, dass der Mensch seine Taten selbst erschaffe. Somit leugneten sie „Qadâ“, „Geschick“, und „Qadar“, „Bestimmung“. Die Gruppe, die Dschabriyya genannt wird, geriet völlig in Verwirrung hierüber. Sie verstanden nicht, dass es „Ikhtiyâr“, „Wahl“ und „Wollen“, geben kann, ohne „Khalq“, „Erschaffung“, „Hervorbringung“. Sie glaubten, dass der Mensch keine „Wahl“ haben kann, und dünkten ihn wie einen Stein oder ein Stück Holz. Sie sagten – Allah, der Erhabene, bewahre –, dass der Mensch nicht der Verantwortliche seiner Sünden sei, dass der Mensch keine Sünden begehe, sondern dass es Allah, der Erhabene, sei, der ihn das Schlechte tun lässt. Besäße der Mensch keinen Willen und keine Wahl, wie es die Gruppe der Dschabriyya behauptet, und würde Allah, der Erhabene, den Menschen zu den schlechten Taten und Sünden zwingen, dann dürfte es zwischen einer Person, die festgeschnürt einen Abhang herabgerollt wird, und einer Person, die diesen Abhang gehend, ihre Umgebung betrachtend, herabsteigt, keinen Unterschied geben. Doch das Herabrollen der ersten Person ist unter Zwang, das Herabsteigen der zweiten Person ist durch Willen und Wahl. Wer den Unterschied nicht sieht, der ist schlicht kurzsichtig. Zudem begreift er die Bedeutung der Âyât (betreffend diese Sache) nicht. Sie dünken die Gebote und Verbote Allahs, des Erhabenen, als unnötig und unangebracht. Zu glauben, wie die Mûtazila oder auch Qadariyya genannte Gruppe behauptet, dass der Mensch alles, was er will, selbst erschafft, käme der Leugnung der Âya, „Allah ist der Schöpfer alles Seienden“, gleich und so würde man den Menschen Allah zum Partner beigesellen.

Auch die Schî‘a glauben wie die Mûtazila, dass der Mensch selbst erschafft, was er will. Dass der Esel trotz der Schläge, die er bekommt, sich weigert, einen Schritt zu tun, bringen sie als Beleg hierfür an. Sie bedenken nicht, wenn der Mensch etwas will, doch Allah, der Erhabene, es nicht will, dennoch das geschieht, was Allah, der Erhabene, will. Somit ist klar, dass die Behauptung der Mûtazila falsch ist. Das heißt, der Mensch kann nicht alles tun, was er will, kann nicht hervorbringen, kann nicht erschaffen. Wenn, wie sie behaupten, alles, was der Mensch will, hervorkommen würde, dann würde dies bedeuten, dass Allah, der Erhabene, ohnmächtig (gegenüber den Menschen und ihrem Willen) wäre. Doch Allah, der Erhabene, ist über jede Ohnmacht erhaben. Nur das, was Er will, geschieht. Er allein ist es, der erschafft, der ins Sein hervorbringt. Solcherart ist das Gottsein. Über Menschen zu sagen, dass sie „schaffen“, „schöpferisch“ sind u. Ä. Sind unschöne Worte und diese sollten gemieden werden. Solche Worte sind Allah, dem Erhabenen, gegenüber eine Respektlosigkeit. Sie führen zum Unglauben.

[Die gewollten Handlungen der Menschen ereignen sich durch Abläufe, die nicht ihrem Willen unterliegen, und sogar durch so manche physikalischen, chemischen und physiologischen Abläufe, derer sie sich überhaupt nicht bewusst sind. Ein einsichtiger Wissenschaftler, der diese Feinheiten versteht, würde sich genieren, seine gewollten Handlungen als „meine Taten“ zu bezeichnen, geschweige denn zu behaupten, sie seien von ihm „erschaffene“. Er würde sich vor Allah, dem Erhabenen, vor einer solchen Aussage schämen. Wem es jedoch an Begriff und Respekt mangelt, der geniert sich nicht, überall alles zu sagen, „wie ihm der Schnabel gewachsen ist“.

Allah, der Erhabene, hat Erbarmen mit allen Menschen in dieser Welt. Er erschafft, was sie bedürfen, und lässt ihnen diese Sachen (als seine Gaben) zukommen. Er lässt sie auch wissen, wie diese Gaben zu nutzen sind, um das Glück in der diesseitigen Welt und im Jenseits zu erlangen. Er vergibt denen, die durch ihre Triebseele, durch schlechte Freunde, durch schädliche Bücher und schädliche Medien verführt und auf die Wege des Unglaubens und der Irre abgewichen sind. Er leitet recht, wen Er will, und bringt ihn auf den rechten Weg. Denjenigen, die zügellos und ungerecht sind, lässt Er diesen Segen (der Rechtleitung) nicht zukommen. Er belässt sie im Sumpf der Ablehnung, in den sie gefallen sind, den sie vorziehen und den sie wünschen.]

Hier endet die Übersetzung des Buches „Itiqâdnâme“, das „Buch der Glaubenssätze“. Die Vorlage für die deutsche Übersetzung war die Übersetzung des Hadsch Feyzullah Efendi aus dem Persischen ins Türkische. Feyzullah Efendi stammt aus der Stadt Kemâh der Provinz Erzincan in der heutigen Türkei. Er war viele Jahre in der Stadt Söke in der heutigen Türkei als Lehrer tätig und starb im Jahre 1323 n. H. [1905 n. Chr.], möge Allah mit ihm barmherzig sein. Der Autor des Buches, Mawlânâ Khâlid al- Bagdâdî, möge Allah sein Geheimnis segnen, wurde 1192 n. H. [1778 n. Chr.] in dem bei Bagdad gelegenen Ort Schahrazûr geboren und starb 1242 n. H. [1826 n. Chr.] in Damaskus, möge Allah mit ihm barmherzig sein. Da er von Usmân ibn Affân, dem dritten Khalîf, möge Allah mit ihm zufrieden sein, abstammt, hat er den Beinamen „al-Usmânî“. Als er einmal seinen jüngeren Bruder Mawlânâ Mahmûd Sâhib, die als zweite in den „Vierzig ehrwürdigen Hadîthe“ des Imâm Nawawî erwähnte und die als „Dschibrîl ehrwürdige Hadîth“ berühmte ehrwürdige Hadîth unterrichtete, bat dieser seinen älteren Bruder darum, eine schriftliche Erläuterung dieser ehrwürdige Hadîth zu verfassen. Um das lichtvolle Herz seines Bruders zu erfreuen, akzeptierte Mawlânâ Khâlid diesen Wunsch und verfasste eine Erläuterung dieser ehrwürdigen Hadîth auf Persisch, möge Allah mit beiden barmherzig sein.

 

Erwache Verstand, öffne die Augen, flehe zu Allâh, dem Schönen! Weiche nicht von Seinem Weg, flehe zu Allah, dem Schönen!

Bete täglich die fünf Gebete, faste im segensreichen Ramadân! Gebe die Almosensteuer bei viel Besitz, flehe zu Allah, dem Schönen!

Eine Zeit kommt, da dein Auge nicht sieht, da dein Ohr nicht hört, Dann gibt es keine Gelegenheit mehr dafür, flehe zu Allah, dem Schönen!

Sieh‘ die Gesundheit als Kapital, jede Stunde als einen Segen, Gehorche Seinem Befehl, flehe zu Allah, dem Schönen!

Verbring nicht sinnlos dein Leben, stärke nicht dein Ego, sondern erwache! Sei nicht verfallen, flehe zu Allah, dem Schönen!

Sind deine Sünden auch viele, verlier die Hoffnung auf Ihn nicht, Er ist reich an Gnade und Vergebung, flehe zu Allah, dem Schönen!

Zum Morgengrauen rieselt Seine Barmherzigkeit auf jedes Land herab, in jener Zeit reinigt sich dein Herz, flehe zu Allah, dem Schönen!

Preise den Namen Allahs, beglücke deine Seele und dein Herz, flehe gleich der Nachtigall, flehe zu Allah, dem Schönen!