Heutzutage werden jedoch fast überall der Isqât und die Dawr nicht den Regeln des Islam entsprechend durchgeführt. Jene, die sagen, dass es im Islam kein Isqât gibt, täten besser daran, stattdessen zu sagen, dass die Durchführung des Isqât und der Dawr heutzutage nicht den Regeln des Islam entsprechend gemacht wird. Dann kann man ihnen darin nur zustimmen. Dann würden sie sich sowohl vor der vorhin erwähnten großen Gefahr schützen, als auch dem Islam einen Dienst erweisen. Wie der Isqât und die Dawr den Regeln unseres Dîn entsprechend gemacht werden, wird nachfolgend erklärt werden. Ibn Âbidîn sagt zum Ende des Kapitels über Qadâ-Gebete:

„Es ist wâdschib, dass jemand, der Fâita [also Gebete mit einer im islamischen Gesetz definierten Entschuldigung nicht verrichtete und somit Qadâ-Gebete] hat und der, obwohl er die Möglichkeit hatte, sie auch mit nur angedeuteten Bewegungen nachzuholen, dies nicht tat, im Sterbebett in seinem Testament vermacht, dass für diese der Isqât durchgeführt wird. Wenn er jedoch gar nicht imstande war, sie nachzuholen, muss er dies nicht vermachen. Auch nicht jemand, der als Musâfir (Reisender) oder Kranker im geehrten Monat Ramadan nicht fastete, weil er starb, bevor er Zeit fand, Qadâ-Fasten zu verrichten. Allah, der Erhabene, akzeptiert deren Entschuldigung. Abfindungszahlungen für Kranke werden nach deren Ableben von ihrem Stellvertreter gemacht. Vor dem Ableben jedoch wird kein Isqât gemacht. Es ist nicht dschâiz, dass ein Lebender für sich selbst den Isqât machen lässt. Im ‚Dschilâul- Qulûb‘ heißt es: ‚Für den, der Haq (Rechte) Allahs oder Seiner Diener auf sich geladen hat, ist es wâdschib, dass er in Anwesenheit von zwei Zeugen sein Testament spricht oder ein aufgeschriebenes Testament diesen vorliest. Für jemanden, der nicht solche Haq (Rechte) auf sich geladen hat, ist es mustahabb, dass er ein Testament macht.‘

Für die Erledigung des Isqât durch Wiedergutmachungen gibt der Stellvertreter des Verstorbenen, dessen Testament ausgeführt wird, d.h. die Person, die der Verstorbene mit der Verteilung des Erbes an die entsprechenden Personen beauftragt hat, bzw. sein Erbfolger, wenn niemand beauftragt wurde, von dem frei verfügbaren Drittel des Erbes für jedes der Fard-Gebete eines Tages, des Witr-Gebets eines Tages und des Qadâ-Fastens eines Tages je ein halbes Sâ‘ [1750 g] an Weizen an Arme [oder deren Vertreter] als Abfindung.

Wenn jemand kein Testament für den Isqât durch Wiedergutmachung gemacht hat, muss ein Stellvertreter gemäß der hanefitischen Madhab auch kein Isqât durchführen. Gemäß der schafiitischen Madhab muss ein Stellverteter auch dann den Isqât durchführen, wenn der Verstorbene dies nicht vermacht hat.

Die Begleichung von Haq (Rechten) Anderer durch den Stellvertreter muss auch gemäß der hanefitischen Madhab durchgeführt werden, auch wenn der Verstorbene dies nicht vermacht hat. Gläubiger können sich sogar, falls sie Zugriff auf das Erbe haben, ihr Haq (Recht) auch ohne eine Gerichtsverhandlung nehmen. Wenn der Verstorbene verfügt hat, dass von seinem Erbe eine Abfindung für seine Qadâ-Fastentage gezahlt wird, ist es wâdschib, dies zu erfüllen, denn dies ist ein Gebot im Islam. Wenn der Verstorbene keine Abfindung für seine Qadâ-Gebete vermacht hat, ist die Zahlung solcher Abfindung nicht wâdschib, sondern dschâiz. Selbst wenn diese beiden letztgenannten trotz ihrer Durchführung von Allah, dem Erhabenen, nicht angenommen werden sollten, entsteht zumindest eine Sawâb als gegebene Sadaqa und trägt dazu bei, die Sünden des Verstorbenen zu bereinigen. Dies ist die Ansicht von Imam Muhammad. Im ‚Madschma’ul-Anhur‘ heißt es: ‚Zwar wurde gesagt, dass es für jemanden, der seiner Nafs und dem Schaitan folgend seine Gebete nicht verrichtet hat, dann dies bereute [und darauf begann, die täglichen Gebete zu verrichten und die versäumten Gebete nachzuholen] nicht dschâiz sei, Isqât für seine noch ausstehenden Qadâ-Gebete zu vermachen, aber im ‚Mustasfâ‘ ist aufgezeichnet, dass dies dschâiz ist.‘

Im ‚Dschilâul-Qulûb‘ heißt es: ‚Haq (Rechte) Anderer meint ausstehende Schulden, anvertraute Güter, durch Raub oder Diebstahl angeeignete Güter, ausstehende Zahlungen (wie Miete, Lohn u.Ä.), Nachzahlungen zur vollständigen Bezahlung gekaufter Waren oder körperliche Haq wie durch Schlagen oder Verletzen verursachtes Leiden, oder Haq des Qalb wie Beschimpfung, Verspottung, Ghiyba (üble Nachrede) oder Verleumdung.‘

Wenn das Drittel des Erbes des Verstorbenen für den Isqât ausreichend ist, dann muss der Stellvertreter die Abfindungen von diesem Besitz geben. Im ‚Fathul-Qadîr‘ steht, dass wenn das Drittel nicht ausreichend ist, es für einen Erben dschâiz ist, den über diesen Drittel hinausgehenden Betrag für diesen Zweck zu spenden. Wenn der Verstorbene vermacht hat, dass sein ausstehender Fard-Hadsch unternommen werde und ein Erbe oder jemand Anderer das Geld für den Hadsch schenkt, ist dies nicht dschâiz. Wenn der Verstorbene vor seinem Ableben dies nicht vermacht hat und ein Erbe jedoch mit eigenem Geld den Isqât durchführt oder den Hadsch unternimmt, ist damit die Hadsch-Schuld des Verstorbenen beglichen. Zwar gibt es Gelehrte, die gesagt haben, dass dies nicht mit dem Geld eines Anderen als eines Erben dschâiz ist, doch die Autoren des ‚Durrul-Mukhtâr‘, ‚Marâqil-Falâh‘ und ‚Dschilâul-Qulûb‘ haben überliefert, dass es dschâiz ist.

Für Isqât durch Wiedergutmachung kann statt Weizen auch Mehl, Gerste, Datteln oder Rosinen gegeben werden. [Da diese wertvoller sind als Weizen, haben sie für die Armen einen größeren Nutzen.] Oder es kann, statt all dieser Naturalien, ihr Gegenwert in Gold oder Silber gegeben werden. [Papiergeld darf für den Isqât nicht verwendet werden.] Eine Abfindung für versäumte Sudschûdut-Tilâwa ist nicht erforderlich.“