Daher dürfen die Auseinandersetzungen zwischen den Gefährten nicht als böswillige Gedanken zur Ergreifung der Khilâfa oder zur Erfüllung ihrer persönlichen Begierden ausgelegt werden. Ein solcher Irrglaube und darauf beruhende respektlose Worte über diese großen Menschen zu sprechen sind Heuchelei und führen ins Verderben. Denn durch die Gesellschaft mit dem Gesandten Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken, durch seine gesegneten Worte und seine Lehren wurden Fanatismus [also Starrköpfigkeit und Missgunst], die Begierde nach Ämtern und die Weltverfallenheit aus allen ihren Herzen getilgt. Sie wurden von der Gier [der Unersättlichkeit, der Sucht nach Weltlichem], von Groll und allen schlechten Charakterzügen befreit und gereinigt. Wenn jemand einige Tage mit einem der Awliyâ aus der Gemeinde des Gesandten Allahs, Friede sei mit ihm, verbringt, dann profitiert er von dem guten Charakter dieses Walî und von seinen hohen Eigenschaften, wird in seiner Gegenwart gereinigt und von der Sucht nach der diesseitigen Welt befreit – wie kann man dann denken, dass die Gefährten des Gesandten Allahs, Friede sei mit ihm und mit ihnen allen, die den Gesandten Allahs mehr als alles liebten, die ihren Besitz und ihr Leben für ihn aufopferten, ihre Heimat für ihn verließen und von seiner Gesellschaft entzückt waren, da sie Nahrung für ihre Seelen war, nicht von schlechten Charakterzügen befreit wurden, ihre Triebseelen nicht bereinigt wurden und dass sie für weltliche Anliegen stritten? Jene großen Menschen sind gewiss (in jeder Hinsicht) reiner als alle anderen Menschen. Es schickt sich nicht, die Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen und ihre Auseinandersetzungen untereinander mit denen bösartiger Menschen zu vergleichen, die für Weltliches streiten und die nur versuchen ihre egoistischen Ziele zu erreichen. Es ist auf keinen Fall gestattet, solche gehässigen Gedanken über die edlen Gefährten zu haben oder gar zu äußern, möge Allah mit ihnen allen zufrieden sein. Wer solche Äußerungen von sich gibt, sollte darüber nachdenken, dass Feindschaft den edlen Gefährten gegenüber, möge Allah mit ihnen zufrieden sein, Feindschaft gegenüber dem Gesandten Allahs bedeutet, Friede sei mit ihm, der sie erzogen und ausgebildet hat. Wer über sie schlecht spricht, spricht schlecht über den Gesandten Allahs, Friede sei mit ihm.

Daher haben die großen Gelehrten im Islam gesagt: „Wer die edlen Gefährten nicht als große Menschen achtet, der glaubt nicht an den Gesandten Allahs, Friede sei mit ihm.“ Die Ereignisse, die bei den „Dschemel“ und „Siffîn“ genannten Auseinandersetzungen stattfanden, sind kein Grund, um schlecht über sie zu sprechen. Bei diesen Auseinandersetzungen kann man auf Seiten all derjenigen, die sich gegen den ehrwürdigen Alî stellten, für ihre Haltung im Islam fundierte Gründe finden, die sie davor bewahren, schlecht geworden zu sein, ja die sogar als sawâb (verdienstvoll) zu bewerten sind, möge Allah mit ihnen allen zufrieden sein. In einer ehrwürdige Hadîth heißt es: „Der Mudschtahid (profunder Gelehrter, der befugt ist, selbstständig Urteile zu bilden), der sich irrt, bekommt eine Belohnung, wenn er richtig liegt, bekommt er zwei oder zehn Belohnungen. Die erste Belohnung ist für den Vollzug des Idschtihâd (Urteilsfindung) überhaupt. Die weitere Belohnung ist für das Treffen des richtigen Urteils.“ Die Auseinandersetzungen, die zwischen diesen großen Gelehrten im Islam auftraten, fanden nicht aufgrund von Sturheit oder Feindseligkeit statt. Sie beruhten auf der Grundlage ihrer Urteilsbildung und auf der Grundlage ihres Wunsches, die Erfordernisse des Glaubens zu erfüllen. Ein jeder der edlen Gefährten war ein Mudschtahid (profunder Gelehrter). [So wird z. B. im Fall des Amr ibnu‘l-Âs [Amr ibnu‘l-Âs starb im Jahre 43 n. H. [663 n. Chr.] in Ägypten.] , möge Allah mit ihm zufrieden sein, in der „Hadîqa“ auf Seite 298 eine ehrwürdige Hadîth erwähnt, die besagt, dass er ein profunder Gelehrter war.]

Es ist eine Pflicht, dass ein jeder profunder Gelehrter selbst dem Urteil folgt, zu dem er gelangt. Dies gilt auch in dem Fall, Wenn sein Urteil nicht mit dem Urteil eines ihm überlegenen profunden Gelehrten übereinstimmt. Es ist ihm nicht gestattet, dem Urteil eines anderen profunden Gelehrten zu folgen. Die Schüler Abû Yûsuf und Muhammed Schaybânî des Imâm Abû Hanîfa [1] und die Schüler Abû Sawr und Ismâîl Muzânî des Imâm Schâfi‘î [2] sind in vielen Angelegenheiten ihren Meistern nicht gefolgt. Sie haben einige Sachen, die ihre Meister als unerlaubt erachtet haben, als erlaubt erachtet. Und einiges von dem, was diese als erlaubt erachteten, erachteten sie als unerlaubt. Niemand sagt, dass sie damit eine Sünde begangen, dass sie etwas Schlechtes getan hätten. Keiner behauptet so etwas, denn diese Gelehrte waren auch wie ihre Meister profunde Gelehrte.

Zwar war der ehrwürdige Alî gelehrter als Muâwiya und Amr ibnu‘l-Âs, besaß viele Überlegenheiten, die ihn über sie stellten, möge Allah mit ihnen allen zufrieden sein, und sein Idschtihâd (Urteilfindung) war stärker und zutreffender als ihre Urteilfindung, doch da ein jeder der Gefährten ein profunder Gelehrter war, war es ihnen nicht gestattet, dem Urteil dieses großen Imâms zu folgen, sondern sie mussten ihrem eigenen Urteil folgen.