Imam Rabbânî, möge Allah mit ihm barmherzig sein, sagt in seinem 261. Brief aus dem 1. Band des „Maktûbât“:

„Es muss mit absoluter Gewissheit klar sein, dass die Salât der zweite der fünf Pfeiler des Islam ist. In der Salât sind alle Ibâdât versammelt. Obwohl sie ein Fünftel des Islam ist, gilt sie durch diese Eigenschaft, dass sie alle Ibâdât in sich versammelt, ganz allein als der Islam. Sie ist von allen Taten, die den Menschen ermöglichen, die Liebe Allahs, des Erhabenen, zu erlangen, die erste. Die Ru’ya (Schau) Allahs, des Erhabenen, die Er dem Meister der Welten und dem größten aller Propheten, Friede sei mit ihm, in der Nacht der Mi’râdsch in der Dschanna schenkte, ermöglichte Er nach seiner Rückkehr ins Diesseits jedoch ausschließlich in der Salât und den Umständen der Dunyâ entsprechend. Daher sagte er, Friede sei mit ihm, sinngemäß: ‚Die Salât ist die Mi’râdsch der Mu’minûn.‘ In einem ehrwürdigen Hadith heißt es sinngemäß: ‚In der Dunyâ ist der Mensch seinem Herrn in der Salât am nächsten.‘ Den Großen, die auf dem Weg dieses Propheten schreiten, wird ihr großer Anteil des Geschenks der Ru’ya im Diesseits nur in der Salât gegeben.

Ja, es ist unmöglich, Allah, den Erhabenen, im Diesseits zu sehen, da die Umstände der Dunyâ dafür nicht geeignet sind. Doch jene Große, die ihm folgen, erhalten etwas von der Ru’ya (Schau), wenn sie die Salât verrichten. Hätte Er nicht die Salât angeordnet – wer hätte den Schleier vor dem Ziel, dem schönen Antlitz des Erstrebten lüften können? Wie hätten die Liebenden den Geliebten finden können? Die Salât ist eine Freude für traurige Arwâh. Sie ist Ruhe und Kraft für Kranke. Die Nahrung des Rûh ist die Salât. Die Heilung für das Qalb ist die Salât. Der ehrwürdige Hadith: ‚O Bilâl, erfreue mich!‘, in der der Ausruf des Adhans gefordert wird, zeigt dies. Der ehrwürdige Hadith: ‚Die Salât ist die Freude meines Qalb und das Licht meiner Augen‘ ist ein Hinweis auf diesen Wunsch. Verzückung, Ekstase, Wissen, Ma’rifa (Wissen von/über Allah), Ränge, Nûr, schillernde Farben, Färbungen des Qalb, Besinnung, Manifestationen, die verstanden werden und die nicht verstanden werden, konkrete und unkonkrete Erscheinungen – was auch immer hiervon außerhalb der Salât geschieht und wenn man nichts von der Wirklichkeit der Salât versteht, bleibt lediglich Schatten, Wiederspiegelung und Schein. Vielleicht ist es sogar nur Einbildung und Vorstellung. Der Vollkommene, der die Wirklichkeit der Salât begreift, ist, wenn er sich zur Salât begibt, so, als würde er die Dunyâ verlassen und in die Âkhira eintreten, und er erfährt etwas von den Gaben der Âkhira. Dann erhält er in der Salât einen unmittelbaren Anteil von diesen Gaben, ohne dass diese von Wiederspiegelungen und Einbildungen getrübt werden. Denn alle diesseitigen Perfektionen und Gaben sind nichts Anderes als Schatten, Form und Erscheinung. Von Schatten und Formen ungetrübtes, unmittelbares Entstehen aus der Quelle ist etwas, das nur in der Âkhira geschieht. Um im Diesseits aus dieser Quelle etwas entnehmen zu können, braucht es eine Mi’râdsch. Und diese Mi’râdsch ist die Salât des Mu’min. Diese Ni’ma (Gabe) ist nur der Umma des letzten Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken, vorbehalten. Die Angehörigen dieser Umma erlangen diese Ni’ma dadurch, dass sie ihrem Propheten folgen. Denn ihr Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken, entstieg in der Nacht der Mi’râdsch der Dunyâ und auf in die Âkhira. Er ging in die Dschanna ein und wurde mit der Ni’ma der beglückenden Ru’ya (Schau) beehrt. O unser Herr! Wir bitten Dich, jenen großartigen Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken, mit allem Guten zu beschenken, die seiner Größe würdig sind! Und beschenke auch alle anderen Propheten, Friede sei mit ihnen, mit Segen und Gutem, denn sie haben den Menschen den Dir gefälligen Weg gezeigt und dazu eingeladen, Dich zu kennen und Dein Wohlgefallen zu erlangen.

Viele, die sich auf dem Weg des Tasawwuf befinden, suchten die Medizin für ihren Kummer anderweitig, da ihnen die Wirklichkeit der Salât nicht vermittelt und die in ihr liegenden Perfektionen nicht mitgeteilt wurden. Sie klammerten sich an andere Sachen, um ihr Ziel zu erreichen. Manche von ihnen dachten sogar, dass die Salât nicht innerhalb dieses Weges und mit dem Ziel nicht zusammenhängend sei. So dachten manche z.B., dass das Fasten höher sei als das Gebet. Viele unter jenen, die die Wirklichkeit der Salât nicht verstanden, suchten die Stillung ihres Leidens und das Erfreuen ihres Rûh in der Ausübung des Simâ’, also dem Zuhören von Gesang [ohne Instrumente] und in der Ekstase. Sie dachten, dass Gesang sie zum Geliebten führen würde. Daher klammerten sie sich an Raqs, also den Tanz, obwohl sie den ehrwürdigen Hadith vernommen hatten, in dem es sinngemäß heißt: ‚Allah, der Erhabene, erschuf in dem, was harâm ist, nicht die Wirkung der Heilung.‘ Ja, der ertrinkende, unerfahrene Schwimmer wird nach jedem Halm greifen, um nicht zu ertrinken. Die Liebe zu etwas macht den Liebenden taub und blind. Wenn diese Leute etwas von der Perfektion der Salât geschmeckt hätten, würden sie sich nicht mit Gesang und Musik beschäftigen oder an Ekstase auch nur ansatzweise denken.

Oh, mein Bruder! So groß der Unterschied zwischen der Salât und der Musik ist, so weit liegen auch die Perfektionen, die in der Salât erfahren werden und das Betrübnis, welches die Musik bewirkt, auseinander. Wer Aql (Verstand) hat, kann viel aus diesem Hinweis lernen.

Dass man Freude an den Ibâdât hat und dass ihre Verrichtung nicht schwer fällt, ist eine der größten Gaben Allahs, des Erhabenen. Vor allem der Geschmack der Verrichtung der Salât wird jenen, die das Äußerste/das Ziel nicht erreichen, nicht zuteil. Insbesondere der Geschmack der Verrichtung der Fard-Gebete bleibt diesen vorbehalten. Denn jene, die sich dem Ziel nähern, bekommen den Geschmack der Nâfila-Gebete zu spüren. Am Ziel jedoch verleihen nur die Fard-Gebete Geschmack. Die Nâfila- Gebete sind im Vergleich geschmacklos und nur die Fard-Gebete bedeuten großen Gewinn.

[Nâfila-Gebete meint alle anderen als die Fard- und Wâdschib- Gebete. Die Sunna-Gebete der täglichen fünf Gebete und alle Gebete, die nicht Wâdschib-Gebete sind, sind alle Nâfila-Gebete. Alle Sunna-Gebete, seien diese Sunan mu’akkada oder Sunan ghayr mu’akkada, sind Nâfila-Gebete.] Von diesem Schmecken, das sich in allen Arten der Salât ergibt, hat die Nafs keinen Anteil. Während der Mensch dies kostet, klagt seine Nafs und schreit auf. O mein Herr! Was für ein hoher Rang ist dies! Und dass Menschen wie wir, deren Arwâh krank sind, solche Worte vernehmen, ist an sich eine große Ni’ma und wahres Glück.

Wisset, dass der Rang der Salât in der Dunyâ der Schau Allahs, des Erhabenen, in der Âkhira entspricht. Im Diesseits ist der Mensch seinem Herrn am nächsten, während er die Salât verrichtet. Und im Jenseits ist er Ihm am nächsten während der Ru’ya (Schau) Allahs, des Erhabenen. Alle Ibâdât im Diesseits dienen dazu, den Menschen in einen Zustand zu versetzen, in der er zur Salât in der Lage ist. Das eigentliche Ziel ist die Salât. Das Erlangen ewigen Glücks und endloser Gaben gelingt nur durch die Verrichtung der Salât.

Die Salât ist wertvoller als alle anderen Ibâdât und das Fasten. Manche Salât füllt gebrochene Herzen mit Freude. Manche Salât tilgt die Sünden. Die Salât schützt den Menschen vor dem Schlechten. In einem ehrwürdigen Hadith heißt es sinngemäß: ‚Die Salât ist die Freude meines Qalb, die Quelle seiner Freude.‘ Die Salât schenkt traurigen Arwâh Freude. Die Salât ist die Nahrung des Rûh. Die Salât ist Heilung für das Qalb. Es gibt Augenblicke in der Salât, da wird die Zunge der Ârifûn (Leute, die Wissen von/über Allah, den Erhabenen, haben) wie der Baum, der zu Mûsâ, Friede sei mit ihm, sprach.“